Kapitalismus und Klimakrise: Wie geht es weiter?

Lässt sich ein Grüner Kapitalismus realisieren – und könnte dieser tatsächlich die ökologischen und sozialen Krisen lösen? Oder werden autoritäre Politiker*innen das fossile System und unsere imperiale Lebensweise mit Gewalt sichern? Welche Auswirkungen haben die zunehmenden globalen politischen Spannungen auf wirkungsvolle Klimapolitik? Und was wären Elemente einer solidarischen Alternative? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Ulrich Brand und Markus Wissen in »Kapitalismus am Limit«. Ihr Buch liefert tiefgreifende Einblicke und Lösungsansätze für drängende gesellschaftliche Herausforderungen.

Gespräch im „Future Histories“-Podcast am 10. Dezember 2023: https://www.futurehistories.today/

Rezension in „Süddeutsche Zeitung“ am 29. März: https://www.sueddeutsche.de/politik/kapitalismus-erderwaermung-demokratiekrise-globaler-sueden-ulrich-brand-markus-wissen-kapitalismus-am-limit-rezension-1.6487755

Was ist die "Imperiale Lebensweise"?

Als imperiale Lebensweise bezeichnen wir Produktions- und Konsummuster, die auf einer ungleichen Aneignung von Natur und Arbeitskraft im globalen Maßstab beruhen. Sie prägen vor allem den Alltag in den Gesellschaften des globalen Nordens sowie der Mittel- und Oberklassen des globalen Südens und verursachen hohe soziale und ökologische Kosten, die sie in Raum und Zeit externalisieren: in der Zeit auf künftige Generationen, im Raum auf den globalen Süden sowie auf viele Regionen im globalen Norden selbst. Die imperiale Lebensweise wird wesentlich von profitorientierten Unternehmensstrategien und machtvollen Politiken vorangetrieben. Sie schließt viele Menschen aus. Es handelt sich um ein Herrschaftsverhältnis, das aber dort, wo sich sein Nutzen konzentriert, nicht als solches erscheint, sondern in unzähligen Akten des Produzierens, Vermarktens und Konsumierens unsichtbar gemacht wird – etwa in den Waren einer globalen und industriellen Landwirtschaft. Die imperiale Lebensweise normalisiert gleichsam eine imperialistische Weltordnung. Die imperiale Lebensweise ist nicht einfach eine Frage individueller Konsumentscheidungen. Als Resultat von historischen und aktuellen Kämpfen um soziale Teilehabe ist sie in den Strukturen, Kräftekonstellationen, Institutionen und Infrastrukturen und damit auch in den Alltagsverhältnissen kapitalistischer Gesellschaften verankert. Deshalb kann man sich ihr auch nicht einfach entziehen. Die Arbeiter*innen in einer Autofabrik haben keinen Einfluss darauf, wo die Rohstoffe für die Autoteile herkommen, die sie verarbeiten, und unter welchen Bedingungen sie extrahiert werden. Sie sind strukturell in die imperiale Lebensweise involviert – aufgrund ihres subalternen Status in der kapitalistischen Gesellschaft, der ihnen oft keine andere Wahl lässt, als ihre eigene Arbeitskraft zu verkaufen, und dies eben auch für Aktivitäten, die Menschen andernorts und in der Zukunft schaden. Konsument*nnen können nicht alles, was sie kaufen, auf ihre sozial-ökologischen Voraussetzungen prüfen. Und selbst wenn sie es könnten, bliebe ihnen häufig gar nichts anderes übrig, als auf Kosten anderer zu leben, weil sie z.B. dort, wo sie leben, aufgrund fehlenden öffentlichen Verkehrs keine Alternative zum Auto haben. Gleichzeitig ist die imperiale Lebensweise hoch attraktiv: Sie ermöglicht die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand, und sie erweitert Handlungsmöglichkeiten und räumliche Reichweiten. Sie ist also gleichzeitig Notwendigkeit und Versprechen, Zwang und Voraussetzung des Lebens sowie der gesellschaftlichen Teilhabe. Die imperiale Lebensweise ist ein wichtiger Grund für die relative Stabilität, die die Gesellschaften des globalen Nordens auch in Krisen wie der Finanz- und Wirtschaftskrise der 2000er Jahre auszeichnete. In jüngerer Zeit wird sie jedoch selbst prekär. In dem Maße, wie sie sich in den Ländern des globalen Nordens vertieft und auf Länder des globalen Südens ausbreitet, werden die Ressourcen und Senken der Erde zunehmend umkämpft. Die öko-imperialen Spannungen nehmen zu, sie manifestieren sich in Rohstoffkonflikten und dem Streit darüber, wer die CO2-Senken und die Atmosphäre für eine noch immer in großen Teilen fossilistische Produktions- und Lebensweise in welchem Ausmaß in Anspruch nehmen darf. Der imperialen Lebensweise geht also gleichsam das Außen verloren, auf das sie angewiesen ist. Das ist ein zentraler Widerspruch unserer Zeit: Mit der Verfestigung und Ausbreitung der imperialen Lebensweise wird der Kapitalismus für immer mehr Menschen zur Normalität und gerät gleichzeitig an seine ökologischen Grenzen. Er wird zu einem Kapitalismus am Limit. Der weltweite politische Rechtsruck lässt sich auch vor diesem Hintergrund verstehen: In Zeiten der Krise versprechen die rechten Kräfte eine autoritäre Stabilisierung der imperialen Lebensweise, indem sie die sozial-ökologische Krise und ihre Ursachen negieren, Geflüchtete bekämpfen und ökonomisch aufsteigende Länder mit Wirtschaftskriegen überziehen. Die etablierten politischen Kräfte, ob bürgerlich oder sozialdemokratisch, machen sich Elemente der autoritären Agenda zu eigen und verbinden sie mit dem Versuch einer ökologischen Modernisierung des Kapitalismus. Das Zauberwort lautet Dekarbonisierung. Ein „grüner“ Kapitalismus verlagert jedoch nur die Ressourcenabhängigkeit, etwa von fossilen auf metallische Rohstoffe und beeinträchtigt Mensch und Natur an den Orten, an denen die Rohstoffe extrahiert werden. Zudem verschärft er die öko-imperialen Spannungen. Solidarische Perspektiven öffnen sich dort, wo in Konflikten um Vergesellschaftung, solidarische Selbstbegrenzung oder Wiedergutmachung die Überwindung der imperialen Lebensweise angestrebt wird. In unseren beiden Büchern „Imperiale Lebensweise“ (2017) und „Kapitalismus am Limit“ (2024) gehen wir jeweils ausführlich auf Vorschläge, konkrete Initiativen und bestehende Praxen einer solidarischen Lebensweise bzw. auf solidarische Perspektiven ein. Weiterlesen

Ulrich Brand

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. Er arbeitet zu kritischer Gesellschaftstheorie, zu Fragen der kapitalistischen Globalisierung, ihrer Kritik und Möglichkeiten politischer Steuerung, zu internationaler Ressourcen- und Umweltpolitik sowie zu Lateinamerika.

Markus Wissen

Markus Wissen ist Professor für Gesellschaftswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er arbeitet zu kritischer Gesellschaftstheorie, gesellschaftlichen Naturverhältnissen, Arbeit und Ökologie sowie sozial-ökologischer Transformation.

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Buchpräsentationen 2024 mit Ulrich Brand und Markus Wissen

Di, 16. April, Universität Dortmund

Do, 18. April, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin

Di, 21. Mai, Buchladen Schwarze Risse, Berlin

Do, 30. Mai, Allerweltshaus, Köln

Mi, 5. Juni, Stratum, Berlin

Fr, 7. Juni, Nachhaltigkeitssalon, München

Do, 20. Juni, Universität Innsbruck

Mo, 1. Juli, Literarischer Salon, Hannover

Do, 4. Juli, UNI:Lokal, Kassel

Mo, 14. Okt., Universität Linz